Graz – Internationaler Tag der Privatsphäre
Graz – Gestern, am 23. Februar 2013, hat sich eine heterogene Gruppe in Graz am Jakominiplatz getroffen, um gemeinsam auf etwas aufmerksam zu machen: Unsere Privatsphäre ist in Gefahr. Zwar ist die Gegenwart noch nicht ganz so dramatisch, wie es der Roman 1984 von George Orwell darstellt, jedoch ist die Überwachung bereits stark spürbar. Eine kleine Gruppe der Piratenpartei Steiermark hat am „Internationalen Tag der Privatsphäre“ mit den Bürgern auf der Straße gesprochen.
Vorweg, warum und inwiefern ist unsere Privatsphäre eigentlich in Gefahr? Es gibt eine Reihe von Abkürzungen, mit denen man sich herumschlagen muss, wenn man sich darüber informieren will, was denn eigentlich unsere Privatsphäre in Gefahr bringt.
Die wohl bekannteste Maßnahme ist die Vorratsdatenspeicherung, kurz „VDS“. Seit dem 1. April 2012 werden auch in Österreich im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung die so genannten „Verbindungsdaten“ für 6 Monate gespeichert. Das heißt, dein Telefon- oder Internetanbieter speichert, wann du mit wem telefonierst, wem du SMS oder E-Mails schreibst und wann du im Internet bist. Dazu wird auch noch dein Standort erfasst, also wo du dich dabei aufhältst.
Aber das war anscheinend nicht genug; in Folge wurden im Rahmen von ACTA weitere Maßnahmen diskutiert. ACTA steht für „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“. Zur Feststellung und Verhinderung von Produktfälschung wurden Maßnahmen diskutiert, die eine inhaltliche Kontrolle von Kommunikationsdaten ermöglicht hätten. Neben massiven Überwachungsmaßnahmen hätte dies auch neue Sanktionen gegen Länder ermöglicht, in denen Produktfälschungen hergestellt werden. Nach umfangreichen, internationalen Protesten lehnte das Europäische Parlament ACTA am 4. Juli 2012 mit großer Mehrheit (478 dagegen, 39 dafür, 165 Enthaltungen) ab.

Diese Software wertet die Daten von Kameras und Drohnen (fliegenden Kameras) aus. Sollte sich eine Person „nicht normal verhalten“ (z. B. lange am selben Platz stehen oder eilig über die Straße rennen), werden umgehend weitere Daten über diese Person via Gesichtserkennungssoftware, Internet (z. B. Facebook), SMS-/E-Mail- oder Telefonüberwachung (Vorratsdatenspeicherung) und sonstigen verfügbaren Datenbanken eingeholt. Daraufhin verständigt INDECT die zuständigen Sicherheitskräfte, die dann diese Person „sicherstellen“ sollen.
Weitere Informationen findet man, unter anderem, auf http://bist-du-terrorist.at/ und http://www.akvorrat.at/
Anonymous Austria hat die Operation Camtrail ins Leben gerufen. Hierbei kann jeder Kameras mittels Meldeformular oder Twitter-Hashtags #Camtrail oder #OpCamtrail auf einer Karte eintragen: http://camtrail.anonymous-austria.com/
International Day of Privacy – 23.2.2013 – Graz – #idp13
Vorbereitung:
In „PADs“ – das sind digitale Schmierzettel, wo jeder etwas beitragen kann – wurden anonym Informationen gesammelt und abgesprochen wer Flyer, Plakate und andere Dinge mitbringt sowie wo bzw. wann man sich trifft.
Die Pads für Graz, findet man hier:
23.2.2013, 13:00 – Wie unter Datenschützern üblich, sind die Namen und/oder die Telefonnummern der Beteiligten oft unbekannt. Trotzdem erkennt man sich und findet zusammen, denn nur wenige Leute drehen ihre Runden am Jakominiplatz und sehen sich dabei um. Ob noch wer kommt oder ob sich jemand aufgrund von Mobilitätspannen verspätet, erfährt man meist auf Twitter. Der Reihe nach, kamen die Teilnehmer zu dem vereinbarten Treffpunkt. Die rund 20 Aktivisten sprachen sich kurz ab, welche Materialien die Gruppenmitglieder letztendlich mitgebracht haben. Man tauschte untereinander Material aus und sprach sich auch bezüglich des Aktionsraumes ab.
Während ein Teil der Gruppe sich dem Plakatieren und Flyern widmete besuchte ein anderer Teil der Gruppe die Kleine Zeitung und die Kronen Zeitung in Graz um auf die Aktion erneut aufmerksam zu machen. Ob die Zeitungen reagieren oder nicht und ob die Plakate länger hängen bleiben, wird die Zukunft zeigen.
Die Piraten in der Gruppe beschlossen sich speziell dem Jakominiplatz zu widmen um in möglichst kurzer Zeit viele Menschen anzusprechen und sie auf die Problematik aufmerksam zu machen. Sie erkannten schnell, dass sich die meisten Menschen darüber im Klaren sind, dass sie von Kameras gefilmt werden. Auffällig war, dass sich besonders Frauen durch die Kameras sicherer fühlten.
Begleitet von dem Filmemacher und Autor Helmut-Michael Kemmer – bekannt durch „Message of the Day – Freak Out“, „Ich bin Rebell: Genug ist genug“ oder dem Blog http://freak-out.at/, haben die Piraten in circa zwei Stunden bei etwa vier Grad Celsius mit 55 Personen gesprochen. Mit einigen länger, mit anderen kürzer. Im Schnitt haben sie mit jeder Person rund 2 Minuten gesprochen, sie durch das kurze Gespräch sensibilisiert und dazu bewogen, eher die zusätzliche Information, per Flyer, zu lesen.
Einige Personen meinten, dass sie sich darüber, ob da nun Kameras sind oder nicht, noch gar nicht Gedanken gemacht haben. Junge Personen waren mit Schlagworten wie „INDECT“ oder „ACTA“ eher vertraut als ältere Personen. Nur wenige Personen lehnten das Angebot zum kurzen Gespräch im vor hinein ab. Ein Pirat hat bei den Gesprächen, mit dem Einverständnis der Befragten, mitgeschrieben und die Befragung dokumentiert.
Die Fragen
„Von wie vielen Kameras werden sie in diesem Moment gefilmt?“
Die Antworten waren sehr verschieden. Die Befragten schätzten von keine bis 100 Kameras, wobei die Zahlen 5 und 10 am häufigsten genannt wurden. Im Schnitt glauben die Personen von 15,1 Kameras am Jakominiplatz gefilmt zu werden.
„Finden Sie, dass das zu viele oder zu wenig Kameras sind?“
59% der Befragten meinten, dass es weniger Kameras sein sollten. Zwei Personen meinten gar, dass jede Kamera eine Kamera zu viel sei. Zwei Personen erläuterten, dass alle Kameras nichts bringen. Besser wäre es, wenn man mehr Polizisten auf den Straßen sehen würde. 41% der Befragten sind der Meinung, dass es mehr Kameras sein sollten. Diesen Personen haben wir eine weitere Frage gestellt.
„Was versprechen Sie sich von mehr Kameras?“
Elf mal ist explizit das Argument „Sicherheit“ gefallen. Eine Person sprach von „vermeintlicher Sicherheit“. Drei mal ist die Phrase „Schutz vor einem Überfall“ genannt worden. Auffällig war, dass sich hauptsächlich Frauen für mehr Kameras aussprechen.
Wie viele Kameras gibt es am Jakominiplatz wirklich?
Am 15.11.2005 schrieb der ORF-Steiermark
Mehr Überwachung für Grazer JakominiplatzSeit Ende September wird der Grazer Jakominiplatz mit einer Videokamera überwacht – bisher allerdings nur schwerpunktmäßig und stundenweise. Ab Dezember werden nun zwei fix montierte Kameras den gesamten Bereich des Jakominiplatzes erfassen.[…]
Am 17.6.2010 gab es eine empirische Untersuchung zur Maßnahme der Stadt Graz, die Viktimisierungsfurch zu senken und Gewaltdelikten entgegen zu wirken. Daran beteiligt waren Koller Katharina, Mostögl Sandra, Reininger Martin, Streißgürtl Georg die Projektleiterin war Mag.a Dr.a Helga Kittl-Satran.
In der Studie wurden einerseits GrazerInnen mittels Fragebögen zu ihrer Meinung bezüglich Videoüberwachung am Jakominiplatzbefragt und andererseits problemzentrierte Interviews mit AnrainerInnen und ExpertInnen zum Thema geführt. Die Auswertung ergab, dass sich der Großteil der GrazerInnen für die Videoüberwachung ausspricht und sich dadurch nicht in der persönlichen Freiheit eingeschränkt fühlt.Es zeigte sich auch, dass Personen die sich häufiger am Jakominiplatz aufhalten, eine geringere Viktimisierungsfurcht (die Angst, Opfer von Gewaltdelikten zu werden) aufweisen. Jedoch wurden Zusatzmaßnahmen wie vermehrte Polizeipräsenz ausdrücklich gefordert. Durch die Installierung der Kameras am Jakominiplatz kam es zur Verlagerung von Gewaltdelikten in die umliegenden Seitengassen.[…]AnrainerInnen und ProfessionistInnen sind sich darübereinig, dass der Jakominiplatz seit der Installierung der Kameras ein Ort ist,an dem die Gefahr, Opfer von Gewaltdelikten zu werden, zwar gegeben,aber nicht mehr erhöht ist.Des weiteren sind Professionistinnen und Pensionisten der Überzeugung, dass es zu einerVerlagerung der Gewaltdelikte in die umliegenden Seitengassen gekommenist. Als Täter werden hauptsächlich Jugendliche (mit Migrationshintergrund)genannt.Weiters kamen AnrainerInnen zu dem Schluss, dass sie sich durch Polizeistreifenam sichersten fühlen, da die Kameras schließlich nicht in jede Eckedes Jakominiplatzes leuchten können. Sie akzeptieren jedoch die Videoüberwachung,da sie Sicherheit über ihre Privatsphäre stellen.[…]Frauen haben eine höhere Viktimisierungsfurcht alsMänner[…]. Dennoch befürworten Frauen die Maßnahmenicht signifikant stärker als Männer […].
Am 28.1.2012 schrieb die Kleine Zeitung
[…]Die Grazer Polizei indes zieht nun zufrieden Bilanz: „Diese Kameras haben sich in jedem Fall bewährt“, nickt Oberst Benno Kleinferchner vom Stadtpolizeikommando. Abgesehen von einigen Kreuzungen habe man ja bloß den Jakomini- sowie den Hauptplatz im Visier – und in beiden Fällen sei die Zahl der Straftaten in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.[…]Und während in Graz Unternehmer und Privatpersonen immer öfter zur Kamera greifen (siehe rechts oben), will es die Polizei vorerst dabei belassen: So hält Kleinferchner nichts von der oft geforderten Überwachung im Uni-Viertel – und auch im Volksgarten seien keine Dreharbeiten geplant. „Es stellt sich immer die Frage nach dem Sinn. Und auf dem Jakominiplatz, wo am Tag Zehntausende ein-, aus- und umsteigen, ist es sinnvoll.“Das gelte auch für das Areal vor dem Hauptbahnhof. Kleinferchner: „Deshalb werden wir dort die Videoüberwachung nach dem Ende der Umbauarbeiten auch wieder aufnehmen. Derzeit machen wir dort ja eine Pause.“
Aktionen, nach der nicht-repräsentativen Umfrage
15:00 – Die Gruppe trifft sich wieder am Ausgangspunkt und beschließt gemeinsam große Plakate in der Herrengasse sowie am Hauptplatz anzubringen. Wir konnten beobachten, dass einige Personen, die bei der Befestigung der Plakate ein wohlwollendes Gesicht machten. Die Aktivisten ernteten mit ihren Plakaten viele interessierte Blicke und zustimmende Minen. Das Bewusstsein in Bezug auf die Überwachung scheint präsent und zum Großteil negativ behaftet zu sein.
18:00 – Piraten die bei der Aktion am Nachmittag dabei waren, trafen sich mit andern Piraten am Schlossbergplatz und marschierten zum Abschluss des Tages zum Hackher Löwen auf den den Schlossberg.
Der ursprünglich aus Bronze hergestellte Löwe von Otto Jarl ehrt Major Franz Hackher, welcher 1809 mit 17 Offizieren und 896 Soldaten den Schlossberg gegen 3000 Franzosen verteidigte. Ähnlich erfolgreich will sich die Gruppe der Datenschützer gegen den Ansturm der Privatsphären-Mörder wehren. Daher wurde, das nun seit 1965 bestehende Replik, des Hackher Löwen ausgewählt um am Internationalen Tag der Privatsphäre dem Tod der Privatsphäre zu gedenken.
Kerzen, eine geopferte Drohne und die winterliche Landschaft am Schlossberg, im Zentrum von Graz, verbreiten düstere Stimmung.
286 Tage ohne Terrorangriff dank Vorratsdatenspeicherung verbucht nun die Republik Österreich. Dafür hat sie die Privatsphäre ihrer Bevölkerung am 1. April 2012 gestohlen. Das ist kein Scherz. Das ist Piraterie im Auftrag der USA.
Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerer Straftaten
Am 2.11.2011 berichtete Futurezone von dem Abkommen zwischen den USA und Österreich. Dem Terrorismus müsse vorgebeugt werden.
Die USA sollen aufgrund eines Abkommens, das unter intensivem amerikanischen Druck abgeschlossen wurde, Zugriff auf DNA-Datenbanken, Fingerabdruckdateien und die Identitäten von Terror-Verdächtigen bekommen. Das Abkommen wird voraussichtlich noch dieses Jahr im österreichischen Nationalrat beschlossen. Die Datenschutz-Interessen der österreichischen Bürger bleiben dabei auf der Strecke, so die Kritiker.[…]
Das Abkommen selbst wird laut Aussenministerium schon am 15.11.2010 in Wien unterzeichnet.
Am 29.02.2012 passiert das Abkommen, unterstützt durch SPÖ und ÖVP, den Nationalrat, Protokoll Seite zwei bis vier. Die Tageszeitung derStandard berichtete.
Am 15.3.2012 stimmt die SPÖ sowie die ÖVP im Bundesrat für das Abkommen. Grüne, FPÖ und BZÖ stimmen, wie bei den Instanzen davor, dagegen. Am 4.Mai 2012 tritt das Abkommen in Kraft.
[…]Ähnlich wie im Nationalrat verlief die Debatte im Bundesrat zur Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz. Sicherheit versus Bürgerrecht, das war auch hier die Frage, an der sich die Geister im Hinblick auf die Erweiterung der Befugnisse für die Exekutive in der Datenermittlung und Bearbeitung schieden. Es soll unter anderem künftig möglich sein, im Zuge einer „erweiterten Gefahrenforschung“ Einzelpersonen zu beobachten. Ebenso sind eine Verbesserung des Opferschutzes und eine optimierte Zusammenarbeit mit den Jugendwohlfahrtsträgern in Angelegenheiten der Jugendfürsorge sowie mit der Datenschutzkommission im Bereich des sicherheitspolizeilichen Erkennungsdienstes geplant. Demgegenüber befürchten die Oppositionsparteien eine substantielle Aushöhlung der Grund- und Freiheitsrechte. Dementsprechend erfolgte der Beschluss, gegen die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz keinen Einspruch zu erheben, mit Stimmenmehrheit.
Das Gleiche gilt für das Abkommen mit den USA, betreffend Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerer Straftaten. Diese soll sich vor allem auf den raschen und umfassenden Informationsaustausch konzentrieren, wozu ein „pro-aktiver“ Austausch von personenbezogenen und anderen Daten, etwa daktyloskopischer Natur, sowie von DNA-Profilen im Einzelfall gehören soll. Auch hier fiel der Beschluss mehrstimmig.[…]
Weitere Informationen:
- Bundesgesetzblatt zum Abkommen
- Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerer Straftaten
Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen. Also steht auf und tut etwas!