Offener Brief an Justizministerin Karl bezüglich Urheberrechts-Enquete

Sehr geehrte Frau Justizministerin Mag. Dr. Beatrix Karl,

wie wir gestern aus den Medien erfahren haben, erarbeiten Sie derzeit im Justizministerium Vorschläge zur Reform des Urheberrechts. Laut Berichterstattung auf derStandard.at soll die geplante Urheberrechtsreform vor allem die Rechtsdurchsetzung bei Urheberrechtsverletzungen stärken. Dazu wurde eine „Enquete“ bestehend aus Vertretern von Telekom-, Film- und Videobranche, Internet-Providern und der Arbeiterkammer eingerichtet. [1] Der Verein für Anti-Piraterie fordert hierzu insbesondere neue Verpflichtungen für Internet-Provider, die einer Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung gleichkommen würden.

Durch diese Reform würde nicht nur das Urheberrecht, sondern auch der Datenschutz und die Privatsphäre der BürgerInnen berührt werden. Wie Sie vielleicht wissen, engagiert sich die Piratenpartei sehr stark in den Themengebieten Urheberrecht und Datenschutz, aber auch für die Art und Weise, wie in unserem Land Politik gemacht wird. Wir möchten Ihnen deshalb einige Bedenken mitteilen, die viele PiratInnen und BürgerInnen bezüglich der Urheberrechts-Enquete haben.

1) Transparente Gestaltung der Urheberrechts-Enquete

Vom Bestehen dieser Enquete haben wir leider nicht von Ihnen erfahren, sondern durch die Pressekonferenz des Vereins für Anti-Piraterie, eines Lobby-Vereins der Unterhaltungsindustrie. Das ist schade.

Wie Sie wissen, wird es Ende November im Justizausschuss ein Hearing mit Experten zur Bürgerinitiative „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung!“ geben, die über 100.000 Unterschriften gesammelt hat. [2] Das Thema Privatsphäre und Datenschutz ist für die ÖsterreicherInnen sehr wohl relevant. Deswegen gibt es keinen Grund, die Öffentlichkeit nur so zurückhaltend über eine Enquete zu informieren, die sich mit dem Thema Vorratsdatenspeicherung befasst. Sie sind den BürgerInnen vielmehr sogar verpflichtet, über solche Vorgänge angemessen zu berichten.

Wir bitten Sie, uns und den ÖsterreicherInnen Auskunft über die Enquete zu erteilen, welche Ziele sie hat, welchem Zeitplan sie folgt, welche Organisationen und Personen daran genau beteiligt sind und wie die Ergebnisse in Gesetzgebung bzw. juristische Praxis einfließen sollen.

2) Zusammensetzung der Enquete

Laut Berichterstattung besteht die Enquete aus Vertretern von Telekom-, Film- und Videobranche, Internet-Providern und der Arbeiterkammer. Aus unserer Sicht ist diese Zusammensetzung unausgewogen.

Nach unserem Rechtsverständnis gibt es in der Justiz immer eine Abwägung mehrerer Rechtsgüter. In diesem Fall haben Urheber und Rechteverwerter ein legitimes Interesse daran, ausufernde Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden und einen angemessenen Ausgleich für ihre Leistungen zu bekommen. Diese Rechte gilt es zu schützen.

Es gilt aber auch, die Privatsphäre und die persönlichen Daten der BürgerInnen zu schützen, weiters mühevoll erreichte Rechtsgrundsätze wie die Unschuldsvermutung. Wir sehen die Vorratsdatenspeicherung als gleichbedeutend mit der Vorstellung an, dass in jedem Haushalt eine Videokamera installiert wird, um Verbrechen zu verhindern. Es ist schlichtweg kein verhältnismäßiges Mittel zur Rechtsdurchsetzung.

Aus diesen Gründen ist es geboten, die Enquete aus Vertretern aller Interessengruppen zusammenzusetzen. Aus unserer Sicht ist derzeit die Verwertungsindustrie überproportional vertreten. Wir sehen die Arbeiterkammer nicht als geeignete Vertretung unserer höchsten Grundrechte an. Die Künstler selbst haben laut der Berichterstattung auch keine direkte Vertretung, sondern sind nur indirekt durch die Verwerter vertreten.

Wenn die dargestellten Informationen den Tatsachen entsprechen, dann fordern wir Sie auf, ein Gleichgewicht der Interessen herzustellen und insbesondere Vertreter von Urhebern und Bürgern in die Enquete aufzunehmen. Auf der Seite der Urheber kennen wir hier die Initiative „Kunst hat Recht“. [3] Auf der Seite der Konsumenten bzw. Datenschützer können wir den AKVorrat [4], die Initiative für Netzfreiheit [5], die ARGE Daten [6] sowie die Piratenpartei Österreichs [7] empfehlen.

3) Inhaltliche Bedenken zu geplantem Recht

Da wir leider nur indirekt über die Enquete erfahren haben und uns damit mit Hörensagen begnügen müssen, verstehen Sie sicherlich, dass wir mit Sorge auf den angedrohten Zugriff auf unsere persönlichen Daten blicken.

Zielgerichtetheit bedenken:
Unser Interesse im Falle einer Urheberrechtsreform ist, dass die persönlichen Daten der BürgerInnen auch persönlich bleiben. Ein Gesetz hierzu darf auf keinen Fall schwammig formuliert sein und ausufernde Zugriffe auf persönliche Daten ermöglichen. Das Gesetz muss zielgerichtet sein und darf nur auf kriminelle Organisationen angewandt werden, nicht jedoch auf einfache Internetbenutzer.

Jugendliche vor Kriminalisierung schützen:
Wir befürchten eine mögliche Kriminalisierung jugendlicher Filesharer. Natürlich kann es sein, dass es Jugendliche gibt, die urheberrechtlich geschütze Inhalte herunterladen und dann weiter verbreiten. Gerade hier sollte man jedoch eine langfristige Perspektive verfolgen. Ich selbst habe in meiner Jugend Inhalte aus „inoffiziellen“ Quellen bezogen und geteilt. Inzwischen mache ich das nur noch sehr, sehr selten. Heute kaufe ich Inhalte in Geschäften und auf Online-Portalen, die mir einen einfachen Zugang dazu gewähren. Einfach, weil ich jetzt auch die Mittel dazu habe. Ich möchte mit diesem Beispiel darauf hinweisen, dass die Verwertungsindustrie häufig versucht, ein Schwarz-Weiß-Bild zu zeichnen, das in der realen Welt nicht existiert. Wir verwehren uns strikt dagegen, dass unsere Jugend durch die Verwertungsindustrie kriminalisiert wird

Veränderungsresistenz der Verwerter nicht unterstützen:
Wenn es eine Urheberrechtsreform gibt, dann darf diese keine Anreize für die Verwertungsindustrie schaffen, sich weiterhin auf Vertriebsmodellen des letzten Jahrtausends auszuruhen. Der Markt hat sich verändert, und zwar nicht zum schlechteren. Das Internet bietet Urhebern, gerade auch weniger bekannten Künstlern, die Möglichkeit, abseits von großen Verwertern neue Vertriebskanäle anzuzapfen und zu nutzen. Das Internet macht die Verteilung von Inhalten leichter, deshalb ist beim Kauf eines Musikalbums ein Verhältnis von 15:1 oder schlechter bei der Verteilung der Einnahmen Verwerter:Künstler bei Weitem nicht mehr gerechtfertigt. Aber es gibt auch für Verwerter neue Absatzkanäle, wenn diese sich nicht dagegen verwehren. Deshalb darf neues Recht nicht den Verwertern dazu dienen, um Konsumenten mit Drohungen und Einschränkung der Bürgerrechte im 20. Jahrhundert festzuhalten.

Innovation fördern:
Eine Urheberrechtsreform sollte zwei Ziele haben: Urhebern zu ihrem gerechten Lohn zu verhelfen sowie Innovation und Wissenszuwachs zu fördern. Wissen ist eine Ressource, die erst an Wert gewinnt, wenn sie geteilt wird. Die technologischen Möglichkeiten erlauben es heute, ehemals begrenzte immaterielle Güter nahezu unbegrenzt verfügbar zu machen. Wir stehen hier in der Entwicklungsgeschichte des Menschen vor einer einmaligen Situation, Wachstumswohlstand durch Technologiewohlstand ergänzen zu können. Diese Entwicklung ist Motor für eine unzählige Innovationen. Mit einer zielgerichteten Reform können wir die Grundlage für einen starken Wohlstandszuwachs schaffen. Es gilt dabei sowohl den finanziellen Wohlstand als auch Innovationen in Form von Erfindungsvorteilen zu motivieren und sichern. Hier richtet sich unsere Kritik vor allem gegen Trivialpatente, die unter dem Deckmantel des Urheberrechts nur den Marktvorteil eines Unternehmens sichern sollen. Patentkriege, bei denen es sich letztendlich um das Vorenthalten von Wissen handelt, sind einer modernen Wissensgesellschaft nicht würdig. Die Urheberrechtsreform sollte deshalb auch zum Ziel haben, moderne Lizenzmodelle wie die Creative Commons [8] für Kunst und die LGPL [9] für Open Source Software zu fördern, besser noch: finanzielle Anreize für frei zur Verfügung gestelltes Wissen zu schaffen. Die Erfahrungen mit diesen Lizenzmodellen zeigen, dass es durchaus möglich ist, Ressourcen unter gewissen Regeln frei zur Verfügung zu stellen und mit modernen Geschäftsmodellen Verdienstmöglichkeiten zu schaffen.

Fazit

Frau Bundesministerin, auch wir sind der Meinung: Die Umwälzungen der digitalen Revolution erfordern Anpassungen im gesamten Rechtswesen. Es ergeben sich neue Gefahren, aber auch Chancen für die BürgerInnen und Organisationen. Sie gehen nun diesen Schritt und beginnen die Diskussion über eine Reform des Urheberrechts. Das ist wichtig. Gerade deshalb ist es notwendig, die Urheberrechts-Enquete gleichmäßig mit Vertretern aller Interessengruppen zu besetzen, um auch ein wirklich gerechtes und ausgewogenes Gesetz zu schaffen.

Ich bitte Sie, die von mir und meiner Partei vorgebrachten Punkte zu berücksichtigen. Halten Sie uns über die Vorgänge der Enquete auf dem Laufenden und beziehen Sie möglichst alle Interessengruppen in die Diskussionen ein. Wir würden eine Einbeziehung der Piratenpartei begrüßen.

Über eine Antwort würden wir uns freuen.

Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Enenkel

Unterstützer:
Lukas Daniel Klausner
Florian Salmhofer
Mario Wieser
Klaus Winkelbauer
Rodrigo Jorquera
Christopher Clay
Kordian Bruck
Ewald Eicher
Wolfgang Wagner
Wolfgang Samsinger
Rene Dyma
Markus Reitbauer
Oliver Reischl
Werner Reiter
Florian Hörantner
MagicHerb
Matteo Treitler
Alexander Kühne
Roman Peterzela
Thomas Rupprecht
Hubert Vogl
Bernhard Hayden
Dietmar Smolle
Dieter Blasl
Paul Jenik

Wer sich ebenfalls auf die Liste der Unterstützer setzen möchte, möge bitte eine Mail an tommi AT piratenpartei DOT at schreiben

Quellen:
[1] Bericht aus derStandard.at https://derstandard.at/1350261320462/Verein-fuer-Anti-Piraterie-will-auf-Vorratsdaten-zugreifen
[2] Bürgerinitiative „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung!“ https://zeichnemit.at/
[3] Bürgerinitiative „Kunst hat Recht.“ http://www.kunsthatrecht.at/
[4] AKVorrat http://akvorrat.at/
[5] Initiative für Netzfreiheit https://netzfreiheit.org/
[6] ARGE Daten http://www.argedaten.at/
[7] Piratenpartei Österreichs https://piratenpartei.at/
[8] Creative Commons https://creativecommons.org/
[9] LGPL https://www.gnu.org/licenses/lgpl-2.1.html