Graz: Ein „smart mob“ wartet vorne

IMG_20130419_202917„Heast, i wü ham. Tuat’s weida“, schrie ein potenzieller Passagier an einer Bushaltestelle in Graz, welcher in der Warteschlage vor dem Bus stand. Normalerweise dauert so ein Einstieg in den Bus nicht lange. Die Wartezeit auf den Bus ist üblicherweise erheblich länger, als die Zeit, die man zum Einsteigen benötigt.

Aber: Graz ist anders. Seit 8. April 2013 darf man in Graz ab 20:00 Uhr nur noch bei der vordersten Türe einsteigen. Mario Eustacchio (FPÖ) und die Holding Graz verkaufen diese neue Verordnung mit dem Argument der „Sicherheit“.

Für uns als Mobilitätsanbieter spielt das Thema Sicherheit eine große Rolle. Wir erwarten uns ein gesteigertes Sicherheitsgefühl, weil durch den persönlichen Kontakt mit den FahrerInnen bei Fragen oder Schwierigkeiten beim Einstieg direkt Hilfestellung geleistet werden kann. Durch den intensivierten persönlichen Kontakt mit dem Fahrpersonal wird Verschmutzungen und Vandalismus vorgebeugt.

Quelle: http://www.holding-graz.at/linien/fahrgastinformation/vorne-einsteigen.html

„Des macht doch kan Sinn, bitt schen. Glaub’n’s, dass de Leut deshalb ned ihre Papierdln lieg’n loss’n, nur weu’s ma für zwa Sekund’n de Foahkort’n zagt hom? De Leit wiss’n genau, dass s‘ jederzeit zu uns kommen können, wenn’s wos wiss’n woin. Und Randalierer und Beschmierer gibt’s untertags genauso, oiso wos soi des? Ois Fahrgast dadat i mi papierdlt fühl’n“, meint ein Busfahrer der GVB im Gespräch mit dem Redakteur.

Diese neue Regelung gilt allerdings nicht für alle, es gibt Ausnahmen:

„Ausnahmen: Die Regel »Bitte nur vorne einsteigen ab 20 Uhr« gilt nicht für Menschen mit Behinderung oder Fahrgäste mit Kinderwagen. Diese steigen wie gewohnt auch bei der zweiten Türe ein.“

Quelle: http://www.holding-graz.at/linien/fahrgastinformation/vorne-einsteigen.html

Was weiters unlogisch erscheint, ist die zusätzliche Kontrolle durch die Firma Securitas in den Abendstunden. Wenn die Fahrgäste bereits durch die Mitarbeiter der GVB kontrolliert werden, wozu gibt es dann erneut Kontrollen durch die Securitas?

„Ja, auch in den Abendstunden werden wie bisher regelmäßig Ticketkontrollen durch die Fa. Securitas durchgeführt.“

Quelle: http://www.holding-graz.at/linien/fahrgastinformation/vorne-einsteigen.html

Diese Verordnung wollen aber nicht alle einfach so hinnehmen. Am 19. April 2013 trafen sich rund 40 Personen am Jakominiplatz um gegen diese Forderung mittels „smart mob“ zu demonstrieren. Der Aufruf auf Facebook lautete:

„Unser Vorschlag ist, dass wir alle in einen Bus einsteigen. Klingt ein bisschen unspannend oder? Dabei kann es aber zu Verzögerungen kommen, sollten wir länger brauchen unser Ticket hervorzukramen, oder wenn jemand erst ein Ticket kaufen muss 😀
Wir wollen damit zeigen, dass diese Regelung große Verzögerungen hervorbringen kann, wir uns nicht so einfach verdächtigen lassen und sie niemanden hilft!“

IMG_20130419_200712Als unser Redakteur zum Treffpunkt am Jakominiplatz fuhr, fielen ihm die Polizeiautos auf, die in der Grazbachgasse sowie in den Zufahrtsstraßen zum Jakominiplatz standen. Am Jakominiplatz selbst konnte man kurz vor 20:00 Uhr fünf Polizeiautos zählen. Auch einige andere Aktivisten stellten fest, dass die Präsenz der Ordnungshüter auffallend hoch war.

Ein Koordinator der Aktion reagierte und teilte die Gruppe. Während einige am Jakominiplatz blieben ging die zweite Gruppe zur Bushaltestelle zur Wielandgasse. Während sich die Schlange vor dem Bus bildete, schien die Gelegenheit günstig, um ein paar Handzettel der Piraten unter die Leute zu bringen und mit den verschiedensten Personen zu plaudern. Besonders interessant war ein Gespräch mit dem Gemeinderat Karl Dreisiebner (Grüne) zum Thema öffentlicher Verkehr und wie man Personen dazu bringen könnte, den öffentlichen Verkehr mehr zu nutzen.

Ein Mitarbeiter der Grazer Linien, zumindest gab er sich als solcher aus, kam in Begleitung zweier Polizisten zur Bushaltestelle, um weitere Personen am Einsteigen zu hindern. Es entstanden wilde Streitgespräche über das Recht, in den Bus zu steigen, sowie über den Service der GVB. Die Polizisten hielten sich zunächst im Hintergrund, zogen jedoch ihre Lederhandschuhe an. Kalt war es am 19. April 2013 gar nicht und die Personen verhielten sich zu diesem Zeitpunkt ruhig, abgesehen von dem Herrn von den Grazer Linien im dunklen Sakko.

IMG_20130419_204859Als der Bus auf Anweisung des Herrn im dunklen Sakko, welcher weder dem anwesenden Redakteur noch anderen seinen Namen nennen wollte, seine Türe schloss und weiterfuhr, wechselten die Teilnehmer des smart mobs zur nächsten Bushaltestelle – verfolgt vom Herrn im dunklen Sakko und den zwei behandschuhten Polizisten. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male – wobei sich die Gruppe des Öfteren freiwillig oder gezwungenermaßen durch die Zwangsschließung der Bustüre durch den Herrn im dunklen Sakko teilte –, bis sich der Redakteur der Piratenpartei wieder am Jakominiplatz befand.

Diese Aktion soll nicht die letzte dieser Art gewesen sein. Aktivisten wollen erneut mit den Grünen, der KPÖ sowie den Piraten auf die Straße gehen und darauf darauf aufmerksam machen, dass die neue Regelung nicht zur Sicherheit, sondern nur zu einer ungerechtfertigten Verdächtigung der Fahrgäste beiträgt. Bei folgenden Aktionen soll auch das eigentliche Anliegen der Aktivisten besser kommuniziert werden. Durch Transparente und Schilder sollen Menschen darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie mit dieser Regelung ein Stück ihrer bisherigen Freiheit abgeben.


UPDATE, 21.4.2013

Das Video vom Smartmob

Facebook

Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook.
Mehr erfahren

Beitrag laden


Quelle: https://www.facebook.com/photo.php?v=535808696465509

Fotos vom Smartmob

Der Herr im dunklen Sakko